Das Unbewusste als aktiver Partner im Change
Vortrag im Rahmen der 51. Jahrestagung der Altstipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Universität Mannheim, 20.5.2023
Inhalt:
Veränderungen scheitern selten am Verstand, aber umso häufiger an unbewussten Widerständen. Denn während der Geist das Neue durchaus willkommen heißen kann, gerät die Psyche in Not. Vertraute Säulen werden eingerissen und die Kontrolle geht verloren. Ein Verlust, auf den der Hüter der Seele, das Unbewusste, mit Widerstand reagiert. Denn das Alte hat, bei allen Nachteilen, einen Vorteil: Berechenbarkeit. Das Unbewusste sitzt daher im Change als Gegenmacht mit am Verhandlungstisch. Wird es gehört und integriert, gelingt die nachhaltige Veränderung. Neue Methoden wie (Management-)Aufstellungen und Voice Dialogue beschleunigen diesen Prozess.

Echte Veränderungsprozesse sind herausfordernd bis schwierig, denn sie zeichnen sich durch „tiefgreifende“ Veränderungen aus. Es handelt sich also nicht um irgendwelche kleine Anpassungen an Gegebenheiten des Alltags, wie z.B. auf einer Umgehungsstraße zur Arbeit zu fahren, sondern wirklich „tiefe Eingriffe“ in bekannte und damit berechenbare Strukturen, Prozesse und Verhaltensweisen. Echte Veränderungen dieser Art erkennen wir daran, dass sie viel von uns abfordern – zuallererst das Gefühl von Kontrolle und Sicherheit. Altbewährtes wird im Kern in Frage gestellt, bekannte Kulissen und Wege werden verschoben und im ganz schlimmen Fall wird uns der Boden unter den Füßen weggezogen. Jeder wird sich an dieser Stelle an eine tiefgreifende Veränderung dieser Art erinnern.

Veränderung ist immer auch Kontrollverlust

Während einer „echten“ Veränderung wird es daher „wackelig“. Wir fühlen uns irgendwie komisch, mulmig und unsicher. Dies und das könnte passieren. Das korrespondierende Gefühl ist Angst. Und da wir die Angst nicht mögen, versuchen wir die verlorene Kontrolle wiederherzustellen. Doch das ist im unsicheren Terrain des unbekannten Neuen ein schwieriges Unterfangen: Strohhalme suchen im Dunkeln, den festen Boden wieder einziehen – das bedeutet Stress und auch den möchten wir gerne vermeiden. Und genau deswegen haben echte Veränderungsprozesse es nie leicht. Auch wenn die neue Lösung noch so vielversprechend oder vernünftig geboten scheint: den Job wechseln, den Ort wechseln, nicht immer gleich „Ja“ sagen, die Firmenkultur positiv ändern, diverser werden, inklusiver werden, demokratischer werden, mich mit Freunden oder mit meiner Familie versöhnen – der Start der Veränderung bleibt häufig holprig oder wird so lange wie möglich vermieden. Oder noch viel schlimmer, er wird rein kosmetisch, also nur oberflächlich angegangen und bleibt daher im Kern wirkungslos.

Sobald es eng wird, greift man doch wieder auf das Altbewährte zurück und verfällt in alte Muster. Das Neue hält nicht – ist nicht nachhaltig

Nicht gut! Denn aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Das Pendel der Veränderung kommt sicher zurück, aber dann mit noch mehr Wucht. Echte Veränderung scheint daher wohl auch echte Not zu verlangen. Oder in den Worten C.G. Jungs: „Ohne Not verändert sich nichts, am wenigsten die menschliche Persönlichkeit. Sie ist ungeheuer konservativ, um nicht zu sagen inert. Nur schärfste Not kann sie aufjagen. So gehorcht auch die Entwicklung der Persönlichkeit keinem Wunsch, keinem Befehl und keiner Einsicht, sondern nur der Not; sie bedarf des motivierenden Zwanges innerer oder äußerer Schicksale.“ (1986, S. 126)

Doch warum sind wir, ob aller offensichtlichen Vorteile und guten Gründe, häufig so veränderungsresistent? 

Notwendigkeit im Außen führt häufig zu Notleiden im Innen

Schauen wir nochmal hin: C.G. Jung gibt uns einen wichtigen Hinweis: eine echte Veränderung erzeugt Not. Notwendigkeit im Außen führt häufig zu Notleiden im Innen. Denn auch und gerade, wenn im Außen nur Positives wartet, muss das nicht vom Innen genauso gesehen werden. Daher reagiert auch nicht jeder und jede gleich auf äußere Veränderungen. Wichtig ist der Grad der individuellen Beherrschbarkeit – übersteigt diese oder jene Veränderung meine spezifischen Fähigkeiten, befinde ich mich schnell an der Grenze. Und diese Grenze ist leider sehr häufig nicht trivial. Es geht dann nicht um Dinge wie „ich kann halt nicht besser singen, tanzen, malen“, sondern wird häufig und sehr schnell existenziell. Wenn z.B. die Firma von einer amerikanischen Company aufgekauft wird und ab morgen in den Mails und Meetings nur noch englisch gesprochen wird, dann stehen ganz schnell mein Selbstwert, mein Ruf oder meine berufliche Position als Nicht-Muttersprachler zur Debatte. Wenn wir zukünftig unser Privatkundengeschäft einstellen und nur noch große Firmenkunden akquirieren, dann frage ich mich ganz schnell, ob ich hier noch hingehöre, weil “ich das doch gar nicht mehr bin”. Oder wenn ich als Arzt oder Ärztin meine Operationen nur zukünftig noch ambulant durchführen soll, auch wenn die stationäre Behandlung definitiv besser, aber auch teurer für den Heilungsprozess des Patienten ist – dann kommt die Frage, ob das noch das ist, für was ich mich damals an der Medizinischen Hochschule eingeschrieben und meinen Eid geleistet habe.

Veränderungen bedrohen nicht nur unsere physische Existenz, sondern auch unsere Überzeugungen, Werte und unseren Selbstwert. Zusammen formen diese unser Selbstkonzept – und das müssen wir gut finden, um gut, also in Frieden mit uns zu leben. Gerät es an einer seiner Säulen ins Wanken – und dass lösen tiefgreifende Veränderungen eben aus, bringt uns das in Not, eine seelische Not, weil der innere Frieden auf dem Spiel steht. Und das geht, wie wir gesehen haben, leider schneller als uns häufig wohl und recht ist. Wenn die Seele in Not ist, dann sprechen wir von einer Krise. Und eine Krise ist, wie das griechische Wort „krisis“ verrät, erstmal ein Wendepunkt. Hier begegnen wir unserem Innersten. Die notleidende und sich bedrängt fühlende Seele meldet sich spätestens dann durch ihren Hüter und Sprachrohr – das Unbewusste. Denn: „Furcht und Widerstand sind die Wegweiser an der vía regia ins Unbewusste.“ (Jung 2000, S. 195)

Widerstand ist die sichtbare Oberfläche, die an dem festhängt, was sich in der Tiefe bedroht fühlt

Und diese Wegweiser sehen wir in Veränderungsprozessen gleich am Anfang aufleuchten: denn Angst und Furcht stehen nach der bekannten emotionalen Veränderungskurve in Anlehnung an Elisabeth Kübler-Ross gleich am Anfang, nämlich als Schock und dann – und das ist die wirkliche Herausforderung im Veränderungsprozess – als Verneinung und Nicht-wahrhaben-wollen, dass sich in starkem innerem und äußerem Widerstand spiegelt. Angst, Furcht und Widerstand sind die sichtbare Oberfläche, sozusagen die Bojen, die an dem festhängen und festhalten, was in der Tiefe sich bedroht fühlt und zudem mit einem mächtigen Verbündeten ausgestattet ist: dem autonomen Nervensystem. Als „auto nomos“ ist es sich nämlich selbst gebietend. Es ist unabhängig und schneller als der bewusste Wille. Vor einer bewussten und ausführlichen Analyse kommt der Angstreflex daher in den drei bekannten Mustern, in denen wir uns kaum von den Reptilien unterscheiden: Flucht, Angriff und wenn beides nicht geht – Totstellen. Alle drei Reaktionen sind dem Veränderungsprozess gegenüber natürlich nicht gerade förderlich: Mitarbeitende, die flüchten, nicht gut; die wirklich kündigen, um die Kontrolle so zurückzugewinnen, gar nicht gut. Mitarbeitende, die sich an die Gurgel gehen sowie ständig schwelende Konflikte zwischen Abteilungen, super ätzend und energiezehrend. Mitarbeitende, die erstarren, in eine Leistungsblockade kommen, oder sich innerlich mit Sorgen überfluten und krank werden – absolut kontraproduktiv.

Unbewusster Widerstand hat viele Gesichter und einen gemeinsamen Nenner: es weht der Hauch der Vermeidung

Widerstand als Spiegel der Angst zeigt sich in vielen Facetten: Manchmal ganz offen als Rebellion, meistens jedoch eher verdeckt bis gut getarnt als „ja, aber …“, zu Tode diskutieren, dauerhaftes Nicht-Entscheiden eingekleidet in höchste Rationalisierungen, warum das jetzt alles noch nicht so geht, sich auf Nebenthemen konzentrieren und dergleichen mehr. Widerstand hat viele Gesichter und einen gemeinsamen Nenner: substanziell passiert nicht wirklich etwas. Das offensichtlich Gebotene tritt nicht oder nur zäh ein. Es weht der Hauch der Vermeidung. Wer aus dieser zweiten Phase der Verneinung und des Widerstands nicht rauskommt, kann in der Tiefe nichts verändern, einfach weil die tieferen, unbewussten Ebenen nicht mitmachen. Um in der Veränderungskurve also wirklich weiterzukommen, müssen wir mit unseren unbewussten Ebenen zusammenarbeiten. Wir können es nicht umgehen, sondern müssen damit umgehen. Dafür wiederum ist es wichtig, zu verstehen, wie das Unbewusste tickt, seine Absichten und v.a. seine Sprache zu entschlüsseln, in der es zu uns spricht.

Um in der Veränderungskurve weiterzukommen, müssen wir mit unseren unbewussten Ebenen zusammenarbeiten

Und hier machen wir einen Sprung über 70 Jahre aus der Berggasse 19 in Wien (Adresse von Sigmund Freud) ins sonnige Kalifornien des Jahres 1972 zu Hall und Sidra Stone. Denn was für Freud und viele andere große Pioniere der Psychologie noch ein zähes und aufwändiges Verfahren der Analyse und Deutung war wurde in einer Aussprache über Träume im Arbeitszimmer von Hal Stone auf eine vollkomme neue Ebene gehoben: das Unbewusste bekam eine Stimme, ein echtes Du, das ansprechbar war und selbst aus dem Unbewussten zum Bewussten gesprochen hat  – die Geburtsstunde von Voice Dialogue und der wahrscheinlich erste direkte Dialog mit dem, was ich “Innere Gestalten” im Unbewussten nenne. Ok, nochmal langsam: man kann mit dem Unbewussten direkt sprechen und es zeigt sich in so etwas wie Inneren Gestalten, die eine echte (also menschliche) Stimme haben? Ja, genau. Pierre Janet hat sie schon vor langer Zeit als Teilpersönlichkeiten erkannt und beschrieben. C.G. Jung nannte diese autonomen Wesen im Unbewussten gefühlsbetonte Komplexe. Die Psychologie war schon seit ihren Anfängen davon überzeugt, dass diese Teilpersönlichkeiten, Zitat Jung, „… die Struktur der unbewußten Psyche ausmachen.“ (2000, S. 197)

Der direkte Draht zum Unbewussten: die Inneren Gestalten

Und dies passt ja gut zu den Beobachtungen, die wir alle täglich bei uns selbst vornehmen können: noch eher harmlos als Selbstgespräche, innere Dialoge von Engel links und Teufel rechts, Ach zwei Seelen wohnen in meiner Brust! und von den Freudschen Versprechern mal abgesehen. Eher weniger harmlos im inneren Zwang und Drang, der sich mit gebieterischer Stimme zeigt und uns in die immer selben aber problematischen Muster führt oder uns darin hängen lässt. Man muss doch, du musst doch, ich muss doch! Diese inneren Gestalten, und ja, es sind gleich mehrere, sind die heimlichen Dirigenten des Willens, der häufig ihren Takt und ihre Motive in eine noch sozial akzeptable Maske, im griechischen Theater die Persona genannt, kleidet. Wenn das Bewusstsein sie nicht unterdrücken kann, sei es im Traum, im Rausch oder unter extremem Stress (den eine Veränderung eben auch auslöst), zeigen sie sich in voller Gestalt, Emotion und Sprache. In diesem Moment erkennen wir uns oder andere nicht mehr wieder, wir lernen Menschen „von einer anderen Seite“ kennen und sind im besten Falle nur erstaunt über dieses „andere Gesicht“. Das, was geht und was nicht geht, entscheiden die inneren Gestalten – autonom und in Millisekunden. Sie verwalten „die roten Knöpfe“, die in tiefgreifenden Veränderungen nolens volens gleich reihenweise gedrückt werden. Sie entscheiden über die Grenzen des für uns Akzeptablen und Tolerablen, weil sie an diesen Grenzen entstanden sind. 

Die Inneren Gestalten: Dirigenten des Bewusstseins

Ihre Haltungen halten das Bewusstsein. Sie halten das zurück, was einst unaushaltbar war und sorgen dafür, dass es in Zukunft nicht mehr eintritt. Existenzielle Grenzerfahrungen, die die Kräfte der Seele überstiegen haben – in der Kindheit, der Jugend, aber, und das macht das Unbewusste so groß und mächtig, auch bei unseren Vorfahren, mit denen wir familiendynamisch und epigenetisch verbunden sind. Diese Grenzerfahrungen wurden als traumatische Ereignisse in das Unbewusste verdrängt – auf allen Ebenen der Seele: vital, emotional und rational. Die Inneren Gestalten sind das Produkt dieser Spaltungen und formen daher das Seelenleben. Sie sind neben dem Verstand die je spezifischen Träger und Beweger einer individuellen Seele. Allerdings im Zweifel und in unsicheren Situationen immer stärker als das Bewusstsein. Was das Überleben sichert, und dazu gehört auch das Seelenleben, hat Vorrang: sei stark, mach schnell, sei perfekt, widersprich nicht, sei freundlich usw. sind daher die klassischen Überlebensstrukturen. Aus diesem Grund müssen wird die Inneren Gestalten während der Veränderung mitnehmen. Denn ohne sie ist gegen sie, und das kann nicht nachhaltig werden.

Die Lösung: der Dialog mit dem Unbewussten 

Und wie sieht diese Partnerschaft nun konkret aus? Den Dialog aufnehmen und unseren unbewussten Partner ernst nehmen. Innere Widerstände spiegeln innere Grenzen, alte Verletzungen, die so nicht mehr eintreten sollen. Das Unbewusste ist Bollwerk der Seele und daher sehr empfindlich. Es muss erst davon überzeugt sein, dass das Neue nicht zum Minenfeld wird. Der Dialog ist daher absolut individuell – und bedeutet damit Arbeit für jeden, der Veränderung will. Mit den Menschen sprechen, ihnen zuhören, nicht drücken, sondern behutsam an die Hand nehmen, viel erklären und dem Widerstand geduldig begegnen. Dabei helfen die Prinzipien von Voice Dialogue – den anderen auf Augenhöhe begegnen und und seine Sorgen ernst nehmen zu wollen. Wer tiefgreifende Veränderung will, kann nicht oberflächlich kommunizieren. Eigene Gefühle und Unsicherheiten preisgeben, ist der beste Weg, Stärke zu zeigen. In diesem Umfeld zeigen sich die Inneren Gestalten, weil sie ihresgleichen erkennen: hier meint es jemand gut mit uns, weil er oder sie ehrlich ist. Hier wird nichts versteckt, was gefährlich werden könnte. Ab hier wird die Veränderung zum gemeinsamen Abenteuer – aus der Not wird nachhaltiges Wachstum – im Innen, wie im Außen.

Literatur:

  • Jung, C. G. (1986), Lesebuch / ausgew. von Franz Alt. Berlin: Ullstein.
  • Jung, C. G. (2000), Grundfragen zur Praxis. Augsburg: Bechtermünz.
Buchtipp zum Thema:

Die beseelte Organisation und ihr Geist

Das Buch liefert erstmals eine wirtschaftsrelevante Systemik des Unbewussten, die aufzeigt, in welch hohem Maße Entscheidungen in Wirtschaft und Politik von unbewussten Haltungen ihrer Akteure bestimmt werden. Ausgangspunkt des Ansatzes sind die Inneren Gestalten, in der Seele abgespaltene und autonome Teilpersönlichkeiten, deren Wirkung auf die Top-Führungskräfte über Erfolg oder Misslingen der gesamten Organisation mitentscheidet. Mit den hier vorgestellten Management-Aufstellungen können Widerstände und verhindernde Machtdynamiken frühzeitig erkannt und in ermöglichende Kräfte verwandelt werden. Dabei gewinnen Entscheider ein differenziertes Unterscheidungsvermögen, das bei komplexen Sachverhalten und schwierigen Verhandlungen den Blick in die Tiefe der Zusammenhänge ermöglicht.