Denn der Weg zum Glück
führt direkt durch den Muskelpanzer. 

Ein Impuls von Alexander Nchuchuma Riechers

Lesezeit: 6 Min

Auf dem Weg zum Glück passiert viel, denn nichts ist stetiger als der Wandel. Und so hält das Leben, komme was wolle, immerwährend neue Aufgaben parat. Wahrscheinlich ist das auch der banale Grund, warum sich das Glück so häufig und erfolgreich vor uns verstecken kann. Die Strebenden irren beschäftigt nach vorn – und wo kein Glück ist, muss nicht unbedingt Unglück sein. Wer Fortuna sucht, hat einen langen Atem und ein dickes Fell. Aber genau diese Qualitäten stehen dem Glück häufig unbemerkt im Weg.

Freund und Feind des Glückes – das autonome Nervensystem

Denn hinter ihnen wirkt mächtig und leise der mit Abstand verlässlichste Freund und Feind aller arglosen Glücksritter – das autonome Nervensystem. Seine Macht bezieht es aus seiner Autonomie. Wir werden nicht um Erlaubnis gefragt, ob unser Herz schlagen soll, ob wir atmen oder verdauen dürfen. Sympathikus und Parasympathikus, diese Funktionen laufen im Autopilot – ein Leben lang. Und das ist auch gut so. Der lange Atem und damit auch das Geschenk des Lebens, sie sind gesichert. Wir werden aber auch nicht gefragt, wie intensiv wir uns und unsere Umwelt wahrnehmen und spüren dürfen.

Sowohl die Schläge des Lebens als auch die alltäglichen Herausforderungen werden ohne unser Dazutun und in Windeseile pariert: Angriff, Flucht oder Erstarren. Selbst ein durchschnittlicher Arbeitstag ist gespickt mit diesen drei archaischen Reaktionen. Schnaubende Chefs, sprachlose Mitarbeiter, drohende Kunden, vor Angst gelähmte Kollegen, die fürchten, den Auftrag, das Ansehen oder die Stellung zu verlieren. Die Schwelle zur Bedrohung ist für unser Nervensystem viel niedriger als unser stolzes Bewusstsein wahrhaben möchte. Oder besser gesagt: wahrnehmen kann. Denn die drei Musketiere des Nervensystems haben einen gemeinsamen Nenner: das Nicht-Fühlen. In einer bedrohlichen Situation werden die Schotten dicht gemacht. Fühlen wird durch Funktionieren ersetzt, da es jetzt nur auf eines ankommt: körperlich oder emotional möglichst unbeschadet aus der Situation zu kommen.

Das Nicht-Fühlen wird früh zu unserer zweiten Haut

Und so dreht unser Nervensystem beständig mit am Rad des Lebens. Still und heimlich als Autopilot der Schmerzvermeidung. Das Nicht-Fühlen wird schnell zur zweiten Haut und beginnt schon früh und im Kleinen. Dann wenn wir als Kinder unsere Wünsche nicht ausleben dürfen, wenn wir als Jugendliche gemaßregelt werden, wenn wir als junge Erwachsene, den gesellschaftlichen Bildern und Regeln zu entsprechen lernen – nolens volens und häufiger als uns lieb ist müssen wir Gefühle wie Wut, Angst, Trauer und sogar unsere kindliche Freude unterdrücken. Ruhig sein, ordentlich sein, anständig sein, lieb sein und das ewige gut und stark sein – daraus entstehen häufig hübsche Biografien, mit einem gequälten Lächeln. Denn das Leben selbst zu unterdrücken ist manchmal der schlimmste Schlag und die Sehnsucht nach dem „echten“ Leben wie ein Stachel im Fleisch.

Unsere Seele lernt damit umzugehen. Der Schmerz wird abgespalten und wandert nach „unten“, ins Unbewusste. Hier wirken jene unbewussten Teilpersönlichkeiten, deren unterdrückte Sehnsucht zum Motor der Projektionen wird und die dadurch schattenverborgen unsere Geschicke beeinflussen – die Inneren Gestalten, deren Kraft wir spätestens dann bemerken, wenn der eigene Wille in die Knie geht: wir tun Dinge, die wir eigentlich nicht wollen oder sollen. Denn abgespalten heißt nicht weg, sondern allenfalls nicht sichtbar. Ebenso wenig wie die Angst. Nur weil wir sie nicht mehr fühlen, ist sie nicht gleich verschwunden.

Flutbecken für das unterdrückte Leben – der Muskelpanzer

Auch sie wandert nach unten, in das Weichgewebe unter die Haut. Aus der erstarrten Angst bildet sich dort ein ebenso starrer Muskelpanzer, der den gesamten Körper umhüllt. Das Flutbecken für alle unterdrückten Gefühle und das Ergebnis eines grandiosen Pakts von Körper, Geist und Seele: der alte Schmerz soll unten bleiben und keiner neuer hinzukommen. Der „Trick“ mit dem dies gelingt ist einfach wie genial und wird vom Entdecker des Muskelpanzers, dem Arzt Wilhelm Reich, bereits 1933 so beschrieben:

Die muskuläre Starre kann die vegetative Angstreaktion ersetzen, anders ausgedrückt, die gleiche Erregung, die bei der Schrecklähmung ins Innere flieht, bildet bei der Schreckstarre aus der Muskulatur eine periphere Panzerung des Organismus.“ (Reich, Charakteranalyse; in Reich 2010, S. 456 f.)

Soll heißen, der Muskelpanzer wandelt die Angst in muskuläre Daueranspannung um. Damit ist sie nicht aufgehoben, aber vorerst entschärft. Und einmal eingerichtet, wehrt dieser Schutzschild natürlich auch die zukünftigen Schläge des Lebens ab. Das sprichwörtlich dicke Fell ist also mehr als real. Und bringt leider auch das Glück in Gefahr. Denn die Angst hängt uns nicht mehr nur sprichwörtlich im Nacken, sondern ebenso im Rücken, auf den Schultern, in den Beinen, in den Armen, im Gesäß, in der Brust, im Kiefer und vielen Orten mehr. Hier kommt nur noch wenig durch – sowohl von der bösen als auch von der schönen Welt.

Ein erstarrter Muskel ist gegen alles hart – vor allem gegen sich selbst

Ein erstarrter Muskel ist gegen alles hart – das Grobe und Raue als auch das Zarte und Wohlgefällige. Und vor allem gegen sich selbst. Das spüren wir auch geistig, in starren Mustern und rigiden Ansichten. Körper und Seele sind schließlich eine Einheit, die „charakterliche und muskuläre Panzerung funktionell identisch“ (Reich 2010, S. 465). Eine Einheit, die ihrer Panzerung wegen schon im Ruhezustand Energie aufzehrt, mit der Zeit steifer und verspannter wird, an Geschmeidigkeit, Agilität und Anmut verliert. Was für Kinder noch völlig selbstverständlich ist, ist für Erwachsene daher häufig kaum noch zu bewerkstelligen – frei schwingen, tief atmen, ruhig schlafen. Die magischen Drei, um das Geschenk des Lebens auch als Glück in Fülle fühlen zu können.

Wer weiterkommen will, muss tiefer gehen!

Der Weg zum Glück braucht daher für viele von uns zuerst eine Rolle rückwärts – durch den Muskelpanzer. Das Ziel heißt deshalb völlig ernstgemeint „Immer schön locker bleiben!“ Und dafür benötigt unser Körper unsere Hilfe. Denn wie Reich zutreffend feststellt: „Der gepanzerte Organismus ist außerstande, seinen Panzer [selbst] aufzulösen.“ (ebd., S. 481) Die Strategie dazu verfolgt zwei Stränge: Zum einen, die erstarrten Muskeln, verklebten Faszien und das zähe Gewebe wieder lockern und geschmeidig werden lassen. Das bedeutet, sich intensiv dem Körper widmen (z.B. mit den Übungen der Biodynamik von Reich’s Schüler Alexander Lowen). Zum anderen, die dadurch wieder freigesetzte Angst in Mut und Zuversicht verwandeln. Das bedeutet, das Unbewusste erforschen und die seelischen Spannungen lösen. Wer also wirklich weiterkommen will, der muss tiefer gehen. Der Muskelpanzer ist ein guter Anfang dafür.


Über den Autor:

Alexander Nchuchuma Riechers, M.A. der Philosophie, Coach und Autor für Persönlichkeitsentwicklung. Im Zentrum seiner Arbeit steht die Systemik der Inneren Gestalten – ein Ansatz, der mit innovativen Methoden direkt im Unbewussten arbeitet. Sein Ziel: frei fließende vitale Kraft.

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